Die glücklose Wiederbelebung der Marke Talbot

Bericht aus Auto Motor Sport 3/1985

Die Wiederbelebung von Talbot hat dem Peugeot-Konzern keinen Erfolg gebracht

Einst gab es Autos namens Simca, und jedermann wusste, woran er war. Dann gab es einen irren Markenmix aus Simca, Chrysler und Sunbeam nebst Matra, und fast niemand wusste noch, woran er war. Seit 1979 hat alles einen neuen Namen. Nun weiß überhaupt niemand mehr, woran er ist.

Der Peugeot-Konzern wollte zu Weltgeltung wachsen. Neben Citroen sollte Talbot als dritte Säule des Imperiums dienen.

„ Talbot ist wiedergeboren’`, jubelten die Werber, als alles endlich gut werden sollte. 1974 hatte die Peugeot Societe Anonyme (PSA), Holding des hundertköpfigen Peugeot Familienclans, zunächst Citroen erworben; Vorbesitzer war die Michelin-Familie. 1976 wurde die Transaktion vollzogen, gepolstert von Staatskrediten zur Rettung der Arbeitsplätze. Eine Milliarde Franc ließ Frankreich es sich kosten, und der Staatskonzern Renault übernahm von Citroen die Last der Berliet Nutzfahrzeugproduktion. Die PSA-Gruppe um Peugeot­Citroen brachte alsbald reichen Gewinn an Geist und Geld. Nur VW war in Europa größer, Renault geriet ins Hintertreffen, und die PSA beschloss, noch größer zu werden. Ein Werkzeug bot sich an. Chrysler France, Tochter des US-Konzerns mit Schwester in Großbritannien und Spanien, bedurfte einer starken Hand. 1978 erwarb die PSA den gesamten europäischen Chrysler­ Komplex, wobei die Amerikaner mit 15 Prozent bei PSA einstiegen. Am 10. Juli 1979 wurde das dicke Ding getauft: „Selbstverständlich werden die Chrysler-Simca-Modelle weiterhin gebaut. Doch von jetzt an wer den sie Talbot heißen.“ Eine Strategie mit drei charakterstarken Marken wurde erdacht: Peugeot weiterhin auf klassischer Linie, Citroen mit betont fortschrittlicher Technik, Talbot mit Sportlichkeit. Der Name Talbot fand sich in der Archivschublade: Zitat „Talbot war ein französisches Hersteller, der seit mehr als 20 Jahren enge Verbindung zu Simca hatte, aber zugleich war Talbot auch ein englischer Hersteller. Talbot baute qualitativ hochwertige Automobile, die für ihre Leistung, Schönheit und Sicherheit berühmt waren. Talbot hatte einen hervorra­genden Ruf im Automobilsport und in der Renngeschichte…““ Für Händler und Kunden war das nur kalter Kaffee. Sie wollten Taten sehen. Doch da kamen nur halbe Sachen. Das Chrysler Chaos wurde einfach in Talbot umbenannt, das Kontrastprogramm zu Peugeot und Citroen kam nicht. Die sportliche Speerspitze Talbot- Matra versagte, Sunbeam verschwand, auch andere Geschäfte platzten. Und Talbot wurde nicht als Konzernmarke mit eigenem Vertrieb profiliert, sondern Peugeot als Stiefkind angehängt. Nach Krisen, Streiks und Entlassungen lag es um Haaresbreite nah, den Traum namens Talbot zu begraben. Doch die Gevattern Peugeot geben nicht auf: wohl ratlos, aber immer noch ein bisschen zuversichtlich. Grund ist kaum vorhanden: In ganz Europa sanken die Zulassungszahlen – in Deutschland gar um über 40 Prozent (siehe Grafik). Jacques Calvet, der als Sanierer geholte neue Peugeot-Chef, plant indes schon die Namensbereinigung: „Wir werden bald entscheiden, ob das neue Modell aus dem Talbot-Werk noch Talbot heißt.

Kaum anders erging es vormals dem tapferen Lord John Talbot, der Britanniens Streitmacht gegen die Jungfrau von Orleans führte. „Wo ist mein Mut und meine Stärk‘ und Kraft? Die Scharen weichen, ich kann sie nicht halten“, stöhnte er im verlorenen Krieg und hielt doch durch. „Kämpft, ihr Soldaten, kämpft“, so ruft er bei Shakespeare im Königs­drama „Heinrich VI“. Er starb bei einem Angriff, weil er nicht auf seine Artillerie gewartet hatte; diesen lehrreichen Todesfall hätte die PSA rechtzeitig im Geschichtsbuch finden können. Jener Lord Talbot wurde für seine Waffentaten zum Grafen von Shrewsbury ernannt, und genau 450 Jahre später setzte sich ein Nachfahre auf dem kommerziellen Schlachtfeld mit Franzosen auseinander: Dieser Graf von Shrewsbury und Talbot gründete 1903 in London eine Firma für den Import französischer Wagen. Die von Tempolimits gebremsten Briten hatten den Anschluss an die Autotechnik verpasst; bis 1904 durften sie nur 20 km/h fahren, dann 32 km/h. Trotz hoher Strafen drehten sie auf, fanden das Beste aus Frankreich gerade gut genug und begannen mit eigenen Produktionen.

Das gräfliche Unternehmen importierte Clement-Wagen aus Levallois-Perret, nannte sich alsbald Clement-Talbot und baute eine Fabrik, die zunächst Teile fertigte und ab 1906 komplette Wagen nachempfundener Konstruktion liefern konnte. Daraus wurde die respektable Marke Talbot, die auch Clement-Wagen importierte, bis der französische Partner Adolphe Clement des Doppelspiels überdrüssig war und 1908 die Clement Motor Car Company in Coventry aufzog. Die Marke Talbot kam voran, sie entwickelte Wagen der gehobenen Klasse, kultiviert und sportlich; ein Talbot mit Stromlinienkarosserie fuhr 1912 den Rundenrekord auf der britischen Brooklandsbahn mit 150 km/h. Im Ersten Weltkrieg wurde ein neuer Konstrukteur engagiert, um für den Frieden vorzusorgen:

Anno 1920 geriet Talbot erstmals in die Hände französischer Konzernstrategen und kam nur knapp davon

Georges Roesch aus Genf hatte Erfahrung bei erstklassigen Adressen und bewies während der nächsten zwei Jahrzehnte eine glückliche Hand unter den schwierigsten Umständen: 1919 wurde Talbot von der französischen Firma Darracq erworben. Dies 1896 gegründete, von jeher international aktive Unternehmen mit großem Werk in Suresnes nahe Paris kaperte 1920 eine weitere britische Firma: . die Sunbeam Motor Car Company in Wolverhampton, gegründet 1899, berühmt durch ihre erfolgreichen Rennwagen. Sunbeam-Talbot-Darracq, STD, hieß der Konzern, der als Vertriebsgemeinschaft mit technischem Austausch gedacht war, aber keineswegs ausgeglichen funktionierte. Vor allem profitierten die Franzosen, die ihre Modelle als Talbot-Darracq auf den britischen Markt brachten. Sunbeam sorgte unter der eigenen Marke für Ruhm auf den Pisten, Talbot spielte die letzte Geige. Doch Louis Herve Coatalen, der als Sunbeam-Chefkonstrukteur die berühmten Rennwagen geschaffen hatte und nun an der Spitze der STD-Technik stand, setzte Georges Roesch als Problemlöser ein. Seit Mitte der zwanziger Jahre erwarb sich „Talbot of London“ (offiziell immer noch Clement-Talbot) einen. stabilen Ruf in der gehobenen Mittelklasse trotz mancher Modell-Kungeleien mit den Franzosen, die ihrerseits den Namen Talbot-Darracq profilierten. STD machte es möglich, Rennsiege allen drei Partnern in die Tasche zu schieben. Erstmals siegte 1921 ein Brite auf britischem Wagen beim französischen Grand Prix: Henry Segrave auf einem Talbot-Darracq der auch als Sunbeam bezeichnet wurde und von den abgeworbenen Fiat-Spezialisten Bertarione und Becchia geschaffen worden war.

Als Talbot 1935 am Ende war, erwarb Major Tony Lago das französische Werk und baute neue Kreationen

Im 1,5 Liter Achtzylinder Talbot mit Kompressor gipfelte diese Ära. 1927 zog sich STD aus der Grand Prix Konkurrenz zurück, nicht aber aus mannigfaltigen Sportwettbewerben; Franzosen wie Engländer pflegten exklusiven Chic mit sportlichen Akzenten. Der STD-Konzern starb 1934 an der Weltwirtschaftskrise. Der britische Zweig wurde von der Rootes-Gruppe übernommen, die Sunbeam hinzufügte. Der Immobilienmakler William Edwards Rootes hatte 1928 die Fabrikate Hillman und Humber erworben, pflegte eine breite Modellpalette und benutzte eine neu formierte Sunbeam Talbot Ltd. für sportliche Versionen. 1954 entfiel der Name Talbot,1964 wurde die Rootes Gruppe von Chrysler erworben. Mit dem Talbot-Darracq-Werk in Suresnes hatte Rootes bei der STD Koquidation 1934 nichts im Sinn. Das war die Chance für einen neuen Mann. Tony (Anthony) Lago, 1896 als Antonio Lago in Venedig geboren, hatte das Polytechnikum besucht und Offizierskarriere bis zum Major der italienischen Armee gemacht. Er ging dann nach England, verkaufte Autos und rückte in Industriepositionen auf. Als STD platzte, war er 38, beschaffte Geld und übernahm die Regie des siechen Unternehmens in Suresnes. Er polierte Organisation und Technik auf, verkaufte überflüssige Baulichkeiten an den Zündkerzenproduzenten KLG und wurde 1935 Herr im Haus. Statt der altmodischen „heeresungeheuer“ baute ihm Walter Becchia flotte Sportwagen mit 1,8 und Dreiliter-Motoren, dann einen Vierliter und einen 2,7 Liter. Erfolg im Sport sorgte für Aufsehen, elegante Cabriolets und Coupes sorgten für Umsatz. Die Finanzen blieben schwach und schwankend, doch Lago scheute kein Risiko. Beim Großen Preis von Frankreich 1937 siegte Louis Chiron auf dem Vierliter-Zweisitzer, auch die beiden nächsten Plätze und der fünfte gehörten Talbot. Und gegen die deutschen Dreiliter-Kompressor-Boliden von 1938 zählte Talbot zu den mutigen

Vornehm ging Talbot zugrunde, als nach dem Zweiten Weltkrieg das zahlungskräftige Publikum fehlte

Gegnern mit 4,5 Liter Saugmotoren. Gleich nach dem Krieg ließ der Major wieder Rennwagen bauen, etwa 20 waren es. Louis Chiron fuhr einen Talbot beim Großen Preis von Frankreich in Reims 1949 zum Sieg und bekam den Wagen geschenkt, denn Lago konnte keine Prämie zahlen. Die Societe baute weiter ihre wunderschönen Wagen: „Sie müssen schnell sein, luxuriös und vor allem ein Rennen gewinnen können“, sagte der Chef. Berühmte französische Karossiers wetteiferten um Meisterwerke auf Talbot-Basis. Doch die Autos waren superteuer, auch andere französische Traumfabrikate konnten nicht durchhalten. Noch 1957 startete ein Talbot bei den 24 Stunden von Le 1VIans, doch das Schicksal der Firma war längst besiegelt

Der Doppelsieg bei den 24 Stunden in Le Mans 1950 war ein großer Triumph zum Abschied: Im nächsten Jahr musste Lago 450 Leute entlassen. Etwa 300 Wagen im Jahr konnten bei Talbot bestenfalls gebaut werden, die Zahl war auf rund 80 geschrumpft. Eine Restmannschaft montierte 1952 noch 32, 1953 nur zehn Autos. Dem Vierzylindermotor eines 2,8 Liter Lago von 1951 fehlte die Kultur, ein Sechszylinder Baby blieb Prototyp. Ebenso erfolglos waren letzte Versuche mit einem 2,5 Liter-Vierzylinder und BMW V- Achtzylindermotoren im Typ Lago America. Trotz allem blieben Privatfahrer im Sport aktiv, der 2,5 Liter Maserati-Motor wurde verwendet, noch 1957 war ein Talbot in Le Maus am Start. 1958 gab Tony Lago auf. Simca, 1935 als Fiat Lizenzmarke gegründet und zu eigenständigem Erfolg aufgestiegen, übernahm das Werk in Suresnes und lieferte die von Ford abgegebene Limousine Vedette, ein keineswegs sportliches Modell, als letzten Talbot. Das hat der Major nicht lange überlebt; er starb 1960. Die Wiederbelebung seiner Marke in PSA-Regie kann ihn im Grabe nicht freuen. Lord Talbot bei Shakespeare: „Oh Himmel, lasst ihr so die Hölle siegen?“

Paul Simsa